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Der Bärenreiter-Verlag als Weltunternehmen

„In meinem Reich geht die Sonne nicht unter!“, scherzte Karl Vötterle Ende 1962 in Anlehnung an einen anderen Karl (den fünften römisch-deutschen Kaiser dieses Namens), da vermutlich „keine Stunde vergeht, ohne dass ein Verlagswerk irgendwo in der Welt erklingt.“ Der geschäftliche Erfolg, den sich Bärenreiter in der Nachkriegszeit erarbeitete und der Vötterles selbstzufriedener Äußerung zugrunde liegt, hatte maßgebliche Ursachen. Im Zuge des Wirtschaftswunders der 1950er-Jahre hatte der Verlag begonnen, sich systematisch breiter aufzustellen: zum einen durch mehrere Übernahmen und Kooperationen (Nagels Verlag 1952, Hinnenthal-Verlag 1953, Bruckner-Verlag (später Alkor-Edition) 1955, Gustav Bosse Verlag 1957) sowie durch den Aufbau der Schallplattensparte Musicaphon (1959), zum anderen durch eine kontinuierliche Ausweitung des Programms. Vor allem die Gesamtausgabenreihen und die auf ihnen basierenden Einzelausgaben wurden zunehmend auch für ein internationales Publikum attraktiv, so dass sich der Blick schnell über die unmittelbaren Nachbarländer hinaus weitete. Dass ab 1959 das Mitteilungsblatt des International Music Council (UNESCO), The World of Music, bei Bärenreiter erschien, macht schon dem Namen nach deutlich, wohin die Reise ging.

Bärenreiter Basel

Um die Verlagstitel weltweit auszuliefern, bedurfte es natürlich entsprechender Vertriebsstrukturen. Die ersten Bemühungen reichten noch in die Zeit des Nationalsozialismus zurück und waren unmittelbar mit den Repressalien der Diktatur verbunden. Während die 1939 von Karl Vötterles nach Palästina geflohenem jüdischen Freund Albert Dann in Haifa und dann in Tel Aviv eingerichtete Auslandsvertretung aufgrund des Kriegsausbruchs nur kurzzeitig Bestand hatte, galt die Gründung der rechtlich wie wirtschaftlich unabhängigen Niederlassung Bärenreiter Basel der Überlebenssicherung des Verlags – dem Kasseler Stammsitz drohte damals die Beschlagnahmung durch die Nationalsozialisten. Ausgestattet mit einer der seltenen Ausreisegenehmigungen war Vötterle daher im März 1944 in geheimer Mission mit allen Verlagsrechten in die Schweiz gefahren. Überaus hilfreich waren ihm da die vielen guten Kontakte: Ruth Majer, gelernte Buchhändlerin und Schwester der im Basler Gambenquartett mitwirkenden Marianne Majer, erklärte sich bereit, den Verlag binnen Tagesfrist in Basel anzumelden und dann auch zu führen.

Der Begründer der Schola Cantorum Basiliensis, Paul Sacher, stand mit Rat und Tat zur Seite, ein anderer Freund lieh die notwendigen Schweizer Franken, und die Eltern von August Wenzinger stellten provisorischen Lagerraum zur Verfügung. Vötterle war also für den Ernstfall vorbereitet, der freilich in anderer Weise eintrat als gedacht: Als im März 1945 die Kasseler Verlagsgebäude ausbrannten, war „der Gedanke an die Existenz des kleinen, arbeitsfähigen Bärenreiter-Verlages in Basel Trost und Hilfe“ (Haus unterm Stern, S. 318). Ruth Majer führte die Geschäfte bis 1960; ihre Nachfolger erweiterten die Dependance zum Schweizer Großsortimenter, und vor allem Peter G. Isler hat sich seit 1988 als Geschäftsführerund Betreuer der Französisch sprechenden Märkte Europas verdient gemacht.

Pierre Pidoux, Le Psautier Huguenot, Titelseite

Bis 2021, als sämtliche Verlagsrechte an das Kasseler Mutterhaus übergingen, erschienen dort Notenausgaben und musikwissenschaftliche Schriften wie Pierre Pidoux’ Standardwerk Le Psautier Huguenot; vor allem aber war Bärenreiter Basel für eidgenössische Komponisten, etwa Willy Burkhard, Klaus Huber, Rudolf Kelterborn, Beat Furrer, Andreas Lorenzo Scartazzini und Dieter Ammann, die erste Adresse in der Schweiz. Und im Jubiläumsjahr 1994 wiederholte sich Geschichte: Leonhard Scheuch, tschechophiler Schweizer und engagierter Förderer der zeitgenössischen Musik, gründete als Verwaltungsratspräsident der Bärenreiter-Verlag Basel AG eine Tochtergesellschaft in Prag, die den damaligen tschechoslowakischen Staatsverlag Editio Supraphon in die Privatisierung führte. Bärenreiter Praha ist damit ein „Kind“ der Freiheit – jener Freiheit, die Scheuchs Schwiegervater Karl Vötterle in Zeiten schwerer Bedrängnis in der Schweiz gesucht und gefunden hatte.

Zusammenarbeit mit tschechoslowakischen Musikverlagen

1965 Karl Vötterle erhält die Goldene Medaille der ČSSR
2010 Verlagsgebäude in Prag
Prager Kollegium 2023

Lange bevor Bärenreiter eine Dependance in Prag bekam, pflegte der Verlag bereits intensive Kontakte mit Ländern des damaligen Ostblocks – vor allem Ungarn, Rumänien und insbesondere mit der Tschechoslowakei: „Die Liebe eines Musikverlegers, der aus der Singbewegung kam, mußte sich dem böhmischen Musikantentum, dem Wurzelboden der Kunst eines Dvořák, Smetana, Janáček und Martinů, zukehren“, schrieb Vötterle im Haus unterm Stern (S. 280f.), und so kam es schon 1955 in Bad Schandau zu einem ersten informellen Zusammentreffen mit Vertretern des tschechoslowakischen Außenhandelsunternehmens Artia Prag. Das Gespräch wurde eine wirkliche Begegnung in Zeiten des Kalten Kriegs und der Beginn einer echten Partnerschaft, bei der der im selben Jahr nach Kassel übergesiedelte Bruckner-Verlag, nunmehr unter dem Namen Alkor-Edition, und mit ihm Fritz Oeser eine wichtige Rolle spielte.

Alkor übernahm u. a. den Vertrieb der Prager Dvořák-Ausgabe, sämtlicher Werke von Smetana und Kompositionen des Slowaken Ján Cikker, und durch Kurt Honolkas Librettoübersetzungen fanden zahlreiche Opernwerke tschechoslowakischer Komponisten, allen voran Smetanas Die verkaufte Braut, den Weg auf die deutschsprachigen Bühnen. 1965 wurde Karl Vötterle für sein damals alles andere als selbstverständliches Engagement mit der Verleihung der Goldenen Medaille der ČSSR gewürdigt: „Zwischen unseren Ländern“, betonte der Direktor des Staatlichen Musikverlags, Vojtěch Strnad, „bestehen zwar keine diplomatischen Beziehungen, aber die Tschechoslowakei besitzt in Kassel ein gutes ‚Konsulat‘ im kulturellen Bereich“ (Das Bärenreiter-Werk 14, 1965, S. 12f.). Und 1974 geschah auf tschechoslowakischem Boden wieder einmal Richtungsweisendes für den Verlag: Beim Janáček-Festival in Brünn begegneten sich die junge Barbara Vötterle und der Zürcher Dramaturg Leonhard Scheuch zum ersten Mal. 1975 heirateten die beiden und führten nach dem Tod Karl Vötterles nicht nur die Verlagsgeschäfte fort, sondern pflegten auch die ganz besondere Beziehung zu Osteuropa weiter. Dass die Übernahme von Editio Supraphon 1994 so im doppelten Sinne eine „Herzensangelegenheit“ war und Bärenreiter Praha heute eine feste Größe innerhalb der Verlagsgruppe ist, bedarf insofern keiner weiteren Erklärung.

Bärenreiter Limited

Das Tor zur westlichen Welt wurde in London aufgestoßen, und wieder war es zunächst Vötterles Freund Albert Dann, der den entscheidenden Schritt ging. Er war nach dem Krieg mit seiner Familie nach Europa zurückgekehrt und betrieb zwischen 1948 und 1956 eine Bärenreiter-Vertretung in West Hoathly (zwischen London und Brighton). Auch in anderer Weise waren die Verbindungen auf die Insel eng: Vötterle hatte etwa den Kontakt zum Musiksammler Paul Hirsch und zu Otto Haas, dem ehemaligen Eigentümer des Berliner Musikantiquariats Liepmannssohn, die beide während der Nazi-Herrschaft nach England geflohen waren, nicht abreißen lassen. Bekanntschaft bestand auch mit Rolf Gardiner, dem Vater des Dirigenten John Eliot Gardiner, der der deutschen Singbewegung nahestand. Als besonders fruchtbar erwies sich die Beziehung zum jüdischen Musikwissenschaftler Adolf Aber, dem späteren Verlagsdirektor von Novello & Co; er brachte Bärenreiter mit dem englischen Traditionsverlag zusammen, in dessen Geschäftsräumen im Oktober 1958 nicht nur eine große Ausstellung über den deutschen Verlag stattfand, sondern der für Bärenreiter seit 1957 auch den Vertrieb in Großbritannien, Irland und den Ländern des Commonwealth besorgte. Die Verantwortung dafür lag in den Händen von Elfriede Lauezzari-Pap, die schließlich auch die Leitung der 1963 gegründeten Auslandsvertretung Bärenreiter Ltd. übernahm und mit unnachgiebiger Zähigkeit Sorge trug, dass die Bärenreiter-Ausgaben ihren Weg bis nach Australien, Neuseeland, Südafrika und Südostasien fanden – unter Bedingungen, die mit denen der globalisierten Welt von heute nicht vergleichbar waren, wie Christopher Jackson betont, der 1977 zu Bärenreiter Ltd. (inzwischen in Hitchin/Hertfordshire, 55 km nördlich von London, ansässig) kam und seit 1986 Managing Director der Niederlassung ist: „Unsere Kommunikation mit Kunden, insbesondere solchen am anderen Ende der Welt, nahm damals viel Zeit in Anspruch. Ein Luftpostbrief war etwa zehn Tage von Australien unterwegs, unsere Antwort ebenso lang, und weitere zehn Tage vergingen, bis die Bestellung schließlich bei uns einging. Der ganze Ablauf zog sich ohne Weiteres über einen ganzen Monat hin.“

Patrick Abrams und Christopher Jackson 2023, Bärenreiter Limited

In den 1990er- und 2000er-Jahren leistete Patrick Abrams, seit 1981 und mittlerweile als Associate Director im Team von Bärenreiter Ltd., durch seine intensive Reisetätigkeit einen wesentlichen Beitrag zur persönlichen Kontaktpflege mit Händlern, Bibliotheken, Orchestern, Opernhäusern und Dirigenten weltweit. Wie sehr der Name „Bärenreiter“ indes schon verbreitet war, hatte er 1990 in Südafrika erleben dürfen: „Als ich an einer Bushaltestelle irgendwo im Nirgendwo wartete, gesellte sich ein Mann zu mir, und wir kamen ins Gespräch. Er fragte mich, was mich nach Südafrika verschlagen hätte, und ich antwortete ihm – in der Annahme, dass damit die Unterhaltung beendet wäre –, ich sei für einen deutschen klassischen Musikverlag unterwegs. ‚Für welchen?‘ Ich sagte es ihm, und da beförderte er den Bärenreiter-Klavierauszug von Bachs Weihnachts-Oratorium aus seiner Tasche. Er befand sich auf dem Weg zu einer Probe in der Kathedrale!“ Inzwischen ist Bärenreiter Ltd., der den Vertrieb seit 1990 von Harlow, etwa 45 km nordöstlich von London, aus steuert, natürlich längst im digitalen Zeitalter angekommen: 2015 entdeckte Abrams den Kurznachrichtendienst Twitter für sich, betreut seitdem den Bärenreiter-Account und pflegt auch auf diesem Weg mit großer Leidenschaft die Verbindungen zu Künstlerinnen und Künstlern auf der ganzen Welt.

Édition Bärenreiter France

Nahezu zeitgleich zur Gründung von Bärenreiter Ltd. entstand 1963 mit der Édition Bärenreiter Paris eine französische Niederlassung, die von Karl Vötterles Tochter Maria und ihrem Ehemann Michel Bernstein, einem französischen Schallplattenproduzenten, betrieben wurde. 1970 zog die Firma nach Tours um, wurde jedoch 1980 aufgegeben, als Maria Bernstein als Kommanditistin des Bärenreiter-Verlags ausschied. Frankreich wurde in der Folge lange Jahre von Bärenreiter Basel betreut; heute ist das Vertriebsgebiet in der Verantwortung des Hauptsitzes in Kassel.

Bärenreiter in den USA

Die Bemühungen seitens des Verlags, in den Vereinigten Staaten von Amerika Fuß zu fassen, waren lange Zeit wenig erfolgreich. Noch 1969 schrieb Karl Vötterle im Haus unterm Stern (S. 320), dass die Errichtung einer funktionierenden „Repräsentanz für diese der Arbeit des Verlages ungewöhnlich aufgeschlossenen Welt“ eine Aufgabe sei, die noch vor ihm stehe. Immerhin konnte der langjährige Cheflektor und Musikwissenschaftler Wolfgang Rehm 1970 auf einer Reise in die Staaten feststellen, dass die MGG und bis dahin erschienene Gesamtausgabenbände des Bärenreiter-Verlags ihren Weg in die großen amerikanischen Bibliotheken bereits gefunden hatten.

Igor Resnianski, Petra Woodfull-Harris und James Litzelman auf der Jahrestagung der Music Teachers National Association 2018 in Orlando, FL

Eine der Firmen, der dies wohl zu verdanken war, dürfte Theodore Front Musical Literature gewesen sein. Front, der in den 1930er-Jahren aus Deutschland emigriert war, hatte sie 1961 in Los Angeles gegründet; er pflegte regelmäßig mit einem Duzend extra angefertigter Koffer nach Europa zu reisen, um diese mit den Publikationen verschiedener Verlage einschließlich derer des Bärenreiter-Verlags zu beladen und eigenhändig in die USA zu bringen. Als entscheidender Schritt für eine intensivere Vermarktung der Bärenreiter-Ausgaben entpuppte sich jedoch die Zusammenarbeit mit George Sturm und Robert Walls. Sturm wurde 1980 zum Berater in allen Fragen um das amerikanische Copyright, besuchte Opernhäuser und Orchester und gab die Zeitschrift MadAmina heraus, die wesentlich zur Bewerbung der Orchester- und Bühnenwerke beitrug. Über Sturm erhielt Bärenreiter Kontakt zu Bob Walls und seiner Firma Foreign Music Distributors, mit der 1984 ein Auslieferungsvertrag zustande kam. Walls sorgte dafür, dass sich der Bezug der Bärenreiter-Ausgaben für amerikanische Musikalienhändler vereinfachte, wodurch eine größere Sichtbarkeit und Verbreitung der Verlagstitel in den USA gewährleistet war. Auch die von Walls erstellten englischen Kataloge und Produktverzeichnisse förderten diesen Prozess maßgeblich. 1986 erschien auf Walls’ Betreiben ein sehr erfolgreicher Klavierauszug von Händels Messiah mit rein englischer Textunterlegung, ein Jahr darauf eine Ausgabe der Klaviersonaten von Mozart mit ausschließlich englischsprachigem Cover und Vorwort – Zeichen der zunehmenden internationalen Ausrichtung des Verlags und Markstein der Entwicklung hin zur konsequenten Mehrsprachigkeit sämtlicher Bärenreiter-Ausgaben. Gut zehn Jahre später hatte das Modell einer exklusiven Auslandsvertretung ausgedient; Walls entschied, den Großhandel aufzugeben und sich stattdessen auf den Vertrieb von Orchestermaterialen zu spezialisieren. Der Vertrag mit F.M.D. wurde 1996 aufgelöst, und für Bärenreiter erwies es sich von diesem Zeitpunkt an als vorteilhafter, den nordamerikanischen Musikalienmarkt direkt von Kassel aus zu betreuen.

Marketing und Vertrieb international

Der Vertrieb in jene Länder der Erde, die nicht in den Zuständigkeitsbereich einer Auslandsvertretung fallen, geschieht vom Kasseler Hauptsitz aus. In den 1990er-Jahren wurde die Vertriebsabteilung in nationale und internationale Zuständigkeitsbereiche aufgeteilt; dies ermöglichte den Aufbau und garantiert die langfristige Pflege stabiler Händlernetze in den verschiedenen Ländern Europas, den USA und in Fernost, und umgekehrt haben die Kunden ihre festen Ansprechpartner bei Bärenreiter – wie sehr dies wechselseitig zu einem gelungenen Miteinander beiträgt, zeigt etwa die Verleihung des „Don Eubanks Sales Rep Award“ 2017 an Petra Woodfull-Harris, eine Auszeichnung der US-amerikanischen Retail Print Music Dealers Association „for excellence and oustanding service“.

Catriona Glatthaar mit Isabel Audenis und Carles Gumi auf der Frankfurter Musikmesse 2018

Ein wesentlicher Faktor für den internationalen Erfolg ist zudem die Professionalität der Abteilung: Ein abgeschlossenes Musikstudium ist für das Marketing beispielsweise ebenso hilfreich wie die Englischkenntnisse eines Native Speaker – Catriona Glatthaar leistet u. a. wichtige Übersetzungsarbeiten für die Bärenreiter-Kataloge und Social-Media-Werbemaßnahmen – oder die interkulturelle Kompetenz im Umgang mit asiatischen Kunden. Als Kulturgut wollen Musikalien Menschen – Musikerinnen und Musikern, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern – auch konzeptionell vermittelt werden. Der direkte Kontakt zu den (End-)Kunden, die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit Händlern, die inhaltliche Präsentation der Ausgaben, die teils auch von den Lektorinnen und Lektoren in Verbund mit den Herausgebern auf Vortragsreisen geleistet wird, sind unverzichtbar für eine sachbezogene Überzeugungsarbeit.

Corinne Votteler und John Zhang, Sinjo Trading & Consulting, auf der Music China 2016 in Shanghai

Bärenreiter in Japan und China

Auf welch unterschiedlichen Voraussetzungen der internationale Vertrieb seit den 1990er-Jahren in Kassel aufbauen konnte, mag am Beispiel der asiatischen Märkte aufgezeigt werden, die seit 2003 von der jetzigen Leiterin für Marketing & Vertrieb International, Corinne Votteler, betreut werden. Nach Japan bestanden bereits seit 1949 Kontakte, und zwar zu Academia Music in Tokyo, einer Firma, die schon kurz nach dem Zweiten Weltkrieg Klassik-Noten und Bücher aus Europa importierte und bis heute für Bärenreiter ein wichtiger Partner geblieben ist. In den 1970er-Jahren kam es dann zu überaus erfolgreichen Lizenzvereinbarungen mit japanischen Verlagen, darunter Zen-on und Ongaku no Tomo. 

1981 fand, finanziell unterstützt vom Bundeswirtschaftsministerium, die erste „German Music Fair“ in Japan statt; sie wurde vom damaligen Verlagsprokuristen Wolfgang Matthei besucht. Bärenreiter war während des fast zwanzigjährigen Bestehens der Messe ein regelmäßiger Aussteller. Die Kontakte zum japanischen Markt bestehen also schon sehr lange und werden durch regelmäßige Besuche intensiv und persönlich gepflegt.

Ganz anders China: Die erste Reise in die damals noch sehr fremde Welt der Volksrepublik unternahm 1999 Wendelin Göbel in seiner Funktion als Verlagsleiter. Zu dieser Zeit war dort noch keine einzige originale Bärenreiter-Ausgabe zu entdecken, nicht einmal in der Bibliothek des Central Conservatory Beijing, dem größten Konservatorium des Landes. Aufgrund des noch niedrigen Lebensstandards und des Umstands, dass alle Noteneinfuhren auch heute noch von einer der großen Importgesellschaften abgewickelt werden müssen (Direktverkäufe an Musikalienhandlungen sind nicht möglich), zeichnete sich ab, dass die „Eroberung“ des chinesischen Marktes Geduld erfordern würde. Dennoch hat sich die seit 2002 in Shanghai stattfindende Messe „Music China“ inzwischen gemausert und belegt statt zwei kleiner nun siebzehn große Hallen. Die wichtigen Musikbibliotheken des Landes haben nach und nach Bärenreiter-Gesamtausgaben angeschafft; auch konnten direkte Beziehungen zu Musikalienhändlern etabliert werden. Die Marke „Bärenreiter Urtext“ ist eingeführt, und Bärenreiter verzeichnet in China zurzeit sein größtes Wachstum. Unlängst erschien mit Unterstützung von Kurt Sassmannshaus, der mit seinem pädagogischen „Starling Preparatory String Projekt“ regelmäßig in Fernost zu Gast ist und am Konservatorium in Cincinnati zahlreiche Studierende aus China unterrichtet, ein chinesisches Beiheft zur Sassmannshaus-Violinschule.

Entwicklungen und Umbrüche

Nachdem sich die Bemühungen des Bärenreiter-Verlags um die internationalen Märkte in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg auf eine Zusammenarbeit mit Institutionen und Musikwissenschaftlern sowie auf die Gründung von Niederlassungen gerichtet hatten – ein Händlernetz bestand zu dieser Zeit im Ausland noch kaum –, konnten in den letzten vierzig Jahren durch eine intensive Reisetätigkeit in Europa, Nordamerika und Asien gute Verbindungen zum Musikalienhandel in den für klassische westliche Musik wichtigen Märkten aufgebaut werden. Wesentlich zur Kontaktpflege beigetragen hat nicht zuletzt auch die Frankfurter Musikmesse, die 1980 erstmals stattfand und für drei Jahrzehnte die größte internationale Fachmesse für Musikverlage blieb. Dass sie in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung verlor und seit Ausbruch der Pandemie gar nicht mehr stattfindet, ist symptomatisch für den insgesamt festzustellenden Umbruch: Zwar erzielt Bärenreiter immer noch den weitaus größten Teil seines Umsatzes mit dem Musikalienhandel, doch die Anzahl der Musikalienhändler und insbesondere der Musikgeschäfte vor Ort hat weltweit abgenommen; einige wenige große Firmen beherrschen den Markt. Gleichzeitig gewinnt die Digitalisierung in allen Bereichen der Musikbranche an Bedeutung. Bärenreiters vertriebliche Aktivitäten zielen daher zunehmend auf die direkte Kommunikation mit Musikerinnen und Musikern über die sozialen Netzwerke. Doch sind persönliche Begegnungen – etwa im Rahmen von nationalen und internationalen Tagungen, Verbandstreffen und Konzertveranstaltungen, aber auch bei Besuchen von Händlern und Institutionen wie Opernhäuser, Orchester, Bibliotheken und Musikhochschulen – nach wie vor unverzichtbar, damit auch zukünftig keine Stunde vergeht, ohne dass irgendwo auf der Welt aus einem Verlagswerk von Bärenreiter musiziert wird.

Gudula Schütz & Petra Woodfull-Harris